Jüdische Gelehrte an der Universität Leipzig. Teilhabe, Benachteiligung und Ausschluss
Warum studierten am Ende des 19. Jahrhunderts überproportional viele Juden an der Universität Leipzig? Wie erklären sich die auffällige Präsenz und die Erfolge von Wissenschaftlern jüdischer Herkunft in Fächern wie Medizin, Jura, Mathematik und in den Naturwissenschaften? Weshalb blieb jüdischen Akademikern trotz der 1868 in Sachsen erfolgten rechtlichen Gleichstellung der Aufstieg in den Staatsdienst weiterhin erschwert beziehungsweise verwehrt?
Dieses Webportal widmet sich der Geschichte jüdischer Gelehrter in Sachsen von der Mitte des 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Im Mittelpunkt steht die Landesuniversität Leipzig. Sie gehörte zu den größten und angesehensten Hochschulen im deutschsprachigen Raum und zog Studenten von nah und fern an. Viele von ihnen kamen aus jüdischen Familien und strebten durch akademische Bildung zu beruflichem Erfolg. Doch blieben diese Wege vielfach schwer. Mit Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft wurden sie gänzlich verstellt. Teilhabe, Benachteiligung und Ausschluss jüdischer Akademiker werfen Schlaglichter auf den vielschichtigen Prozess der gesellschaftlichen Modernisierung in Sachsen, seine Widersprüche und Verwerfungen.
Auf den folgenden Seiten führen inhaltliche Kapitel in den allgemeinen historischen Kontext der jüdischen Emanzipation in Sachsen ein. Sie beschreiben den Stellenwert akademischer Bildung für die jüdische Bevölkerung und erklären den besonderen Charakter der protestantischen Landesuniversität in Leipzig. Daran anschließend werden die Fachdisziplinen Medizin, Jura, Mathematik, Physik und Chemie beleuchtet. In den nächsten beiden Kapiteln werden der Niedergang der Gelehrtenuniversität durch die antisemitische Hochschulpolitik und ihr unwiderrufliches Ende im Zuge der sozialistischen Transformation nach 1945 dargestellt. Zudem bieten exemplarische Biografien einen Zugang zur Geschichte jüdischer Gelehrter in Leipzig.
Der Begriff „jüdische Gelehrte“ ist dabei nicht ausschließlich durch religiöse Zugehörigkeit bestimmt. Manche Akademiker jüdischer Herkunft sahen sich aufgrund universitärer Beschränkungen aus pragmatischen Gründen zum Glaubenswechsel veranlasst. Andere wiederum konvertierten aus voller Überzeugung und passten sich schnell und konsequent ihrer Umgebungsgesellschaft an. Doch jenseits religiöser Selbstverortungen und des kulturellen Bewusstseins einer jüdischen Herkunft blieben Erfahrungen, die sich im Rückblick als Merkmale jüdischer Existenzweisen verstehen lassen. Dazu gehörten der hohe Stellenwert von Bildung und bürgerlichen Umgangsformen, die Offenheit gegenüber gesellschaftlicher Modernisierung, schließlich aber auch der Antisemitismus. Mit Blick auf diese Erfahrungswelt zwischen oft prekärer Teilhabe und Zurückweisung wird im Folgenden von „jüdischen Gelehrten“ gesprochen.