Georg Steindorff

Georg Steindorff (1861–1951)

Der Ägyptologe Georg Steindorff (1861–1951) zählte auf dem Höhepunkt seiner Karriere zu den bekanntesten und renommiertesten Forschern seines Faches. (Bild 1) Durch die von ihm geleiteten Grabungskampagnen zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden wertvolle archäologische Objekte zutage gefördert, die bis heute den Kern der Sammlung des Ägyptologischen Museums in Leipzig bilden.[1] (Bild 2) Sein Lebenswerk ist bis in die Gegenwart von wissenschaftlichem Interesse und war in der jüngsten Vergangenheit auch Gegenstand einer rechtlichen Auseinandersetzung.

Steindorff, geboren am 12. November 1861, wuchs mit vier Geschwistern in einem liberalen jüdischen Elternhaus in Dessau auf, wo er das Abitur abschloss. 1880 begann er zunächst ein Studium der Philosophie und Geschichte in Berlin, wandte sich aber bald der Ägyptologie und der Orientalistik zu. 1882 wechselte er nach Göttingen, wo er bei Paul de Lagarde am Lehrstuhl für Orientalische Sprachen studierte. De Lagarde war nicht nur ausgewiesener Experte für die ägyptisch-koptische Sprache, sondern zugleich bekennender Antisemit, der religiöse und kulturelle Motive der Judenfeindschaft mit völkisch-nationalistischem Gedankengut verband.[2] (Bild 3) Er wurde 1884 nicht nur Steindorffs Doktorvater, sondern begleitete diesen auch während der Konversion zum Protestantismus im gleichen Jahr. Steindorff ermöglichte der Wechsel des Glaubensbekenntnisses beruflich einen „ganz bemerkenswerten Aufstieg in den ersten zwei Jahrzehnten vor dem ersten Weltkrieg“.[3] 1893 folgte er einem Ruf nach Leipzig, wo er zunächst als außerordentlicher Professor lehrte. 1903 wurde er Honorarprofessor, 1904 Ordinarius und 1919 kurzzeitig Dekan der Philosophischen Fakultät. 1923/1924 bekleidete er das Amt des Universitätsrektors.[4] (Bild 4)

Steindorff heiratete 1887 Elisabeth Oppenheimer, eine Tochter des in Leipzig promovierten Rabbiners Julius Oppenheimer sowie Schwester von Franz und Carl Oppenheimer. Auch aufgrund des Umfelds und der Familie seiner Frau blieb er mit jüdischen Intellektuellen seiner Zeit in Kontakt. Aus der Ehe gingen zwei Kinder – Johanna Hilde (1892–1983) und Ulrich (1888–1978) – hervor.[5] Zu seinem Sohn, dem späteren kommunistischen Schriftsteller und Übersetzer Ulrich Steindorff, brach er zeitweilig den Kontakt ab, weil jener sich 1918 der Revolution anschloss.[6]

Im Mittelpunkt von Steindorffs Forschungstätigkeit stand die Feldarchäologie in Ägypten und den angrenzenden Regionen im Maghreb. Zu Beginn konzentrierten sich die Ausgrabungen auf Objekte des Totenkults. So untersuchte er 1895 etwa ein Gräberfeld am Fuße der Pyramiden von Gizeh. Später grub er im Pyramidentempel des Königs Chephren und an den Grabanlagen bei Abusir sowie Qaw el-Kebir.[7] Bei drei späteren Grabungskampagnen bis 1931 im unternubischen Aniba interessierte ihn vor allem die Rekonstruktion der Herrschaftsverhältnisse zwischen der dort ansässigen ägyptischen Elite und den autochthonen Kulturen der Region.[8] (Bild 5)

Steindorffs Klassifizierung der altägyptischen Dynastien als weiße Eliten im Gegensatz zur abgewerteten, dunkelhäutigen Bevölkerung entwickelte sich im Kontext rassenideologisch-völkischer Geschichtsdeutungen im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert.[9] Unter seinen Fundobjekten befand sich in diesem Zusammenhang auch eine nicht unerhebliche Sammlung menschlicher Schädel.[10] Insgesamt war die Ägyptologie im Gegensatz zu anderen Fächern der klassischen Altertumswissenschaften zwar nicht unmittelbar von pseudowissenschaftlichen Obsessionen eines konstruierten Gegensatzes von germanischem und romanischem „Wesen“ betroffen. Sie geriet aber zunehmend unter Druck, ihre Forschungsergebnisse entsprechend zu legitimieren.[11] In seiner Rede anlässlich seines Antritts als Rektor der Universität Leipzig (Galerie) entwarf so auch Steindorff ein Konzept von „,Wesen‘ und ,Rasse‘ der alten Ägypter“.[12] Er unterschied diese von den „,armenoiden‘ Hethitern“ und baute damit auf den rassenideologischen Annahmen Felix von Luschans auf. Dieser hatte europäischstämmige Semiten und asiatisch-orientalischstämmige Juden gegenübergestellt. Vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Debatten über die Einwanderung von Juden aus dem östlichen Europa trug auch Steindorff zur Festigung des Stereotyps vom minderwertigen Ostjuden bei und begründete zugleich die Relevanz der Ägyptologie angesichts aktueller Zeitfragen.[13]

Steindorff vertrat trotz des philologischen Fundaments seiner Lehre einen prinzipiell positivistisch-interdisziplinären Ansatz bei der Einordnung kulturhistorischer Gegenstände. Die 1842 gegründete Leipziger ägyptologische Sammlung erhielt zwischen 1895 und 1937 durch seine Grabungen den größten Zuwachs.[14] Steindorff baute den altertumswissenschaftlichen Bestand des seit 1874 selbstständigen Universitätsmuseums durch Ankauf, Tausch, die Einwerbung von Schenkungen und Gipsabgüssen von Ausstellungsstücken anderer Museen zu einer bedeutenden Sammlung aus. Zudem gab er mehrere Jahrzehnte die Ägyptische Zeitschrift sowie die Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft mit heraus. (Bild 6) Er gehörte der Berliner Kommission zur Erstellung eines Wörterbuchs der ägyptischen Sprache an, saß im Rat des Kaiserlich-Deutschen Instituts für Ägyptische Altertumskunde und war ab 1919 langjähriges ordentliches Mitglied der Philologisch-Historischen Klasse der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. (Bild 7)

Nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten blieb Steindorff von den ersten Einschränkungen für Akademiker jüdischer Herkunft zunächst verschont. Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums im April 1933 war er bereits emeritiert. (Bild 8 und 9) Dass ihm noch einige Jahre die Nutzung der Forschungsräumlichkeiten und Bibliotheken gestattet wurde, muss als Ausnahmefall bewertet werden. Bis 1938 blieb er zudem Mitglied der Sächsischen Akademie der Wissenschaften und des Deutschen Archäologischen Instituts. Doch bereits seit 1933 gab er die Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft nicht mehr heraus; 1937 wurde er auch als Herausgeber der Ägyptische Zeitschrift verdrängt. Spätestens mit den sogenannten Nürnberger Rassengesetzen begriff Steindorff, dass sein Leben in Deutschland trotz seiner Konversion nicht sicher war. Ab 1936 bereitete er sich auf die Emigration vor. Unter anderem verkaufte er die Sammlung seiner Ausgrabungsstücke an die Universität Leipzig.[15] Nach der Zwangsscheidung seiner Tochter Hilde 1938 und der Novemberpogrome im selben Jahr organisierte er mit seiner Frau Elise gemeinsam die Emigration. Im März 1939 reisten sie mit dem Schiff von Bremen in die USA.[16] Steindorff gelang es, bei der Ausreise seinen gesamten Besitz mitzunehmen, darunter die umfassende Bibliothek, die als Teilnachlass in der Bridwell Library in Dallas (Texas) erhalten ist.[17] Seine Schwester Lucie wurde nach Ravensbrück deportiert und 1942 in Bernburg ermordet.[18]

Durch den amerikanischen Ägyptologen John A. Wilson aufgefordert, verfasste Steindorff im Mai 1945 einen Brief, der als „Steindorff-Liste“ bekannt wurde. Er selbst bezeichnete ihn teilweise auch selbst als „J’accuse-Brief“.[19] Darin berichtete er über das Verhältnis seiner ehemaligen Kollegen aus der deutschen Ägyptologie zum Nationalsozialismus. Er ordnete sie namentlich als Faschisten, Mitläufer und regimekritische Ägyptologen ein.[20] Von der Universität Leipzig forderte er die ihm seit 1940 verwehrten Rentenauszahlungen ein. Ein großer Teil der maßgeblich von ihm zusammengetragenen Sammlung war durch die alliierten Luftangriffe auf Leipzig zerstört worden. Dass die erhaltenen Sammlungsgegenstände in Leipzig verblieben und den Studierenden als Lehrobjekte zugänglich waren, fand seine ausdrückliche Zustimmung.[21] Eine Rückkehr nach Deutschland zog Steindorff zu keinem Zeitpunkt in Erwägung. Er starb 1951 im Alter von 91 Jahren in Hollywood.

Nach der Wiedervereinigung machte die Jewish Claims Conference Restitutionsansprüche für die 163 erhaltenen Objekte aus Steindorffs Sammlung in Leipzig geltend. (Bild 10) Das Berliner Verwaltungsgericht gab ihr 2011 Recht.[22] In einer außergerichtlichen Entscheidung übertrug die Jewish Claims Conference die Sammlung im selben Jahr jedoch an die Universität Leipzig zurück.[23] Das entsprach auch dem Wunsch von Steindorffs Enkel, der in den Vereinigten Staaten lebt. [24] Die Universität verpflichtete sich, den Lebensweg Steindorffs aufzuarbeiten und die Forschungsergebnisse öffentlich zu machen.[25] Im Ägyptischen Museum der Universität Leipzig wurden eine Gedenktafel angebracht und eine Sonderausstellung eröffnet. Zugleich wurde ein Forschungsprojekt durchgeführt, das dem Briefwechsel Steindorfs gewidmet ist.[26]

Ausgewählte Werke von Georg Steindorff
  • Die Blütezeit des Pharaonenreichs. Monographien zur Weltgeschichte, Bd. 10, Bielefeld/Leipzig 1900.
  • The Religion of the Ancient Egyptians, American Lectures on the History of Religions, Bd. 5, New York/London 1905.
  • Die Kunst der Ägypter. Bauten, Plastik, Kunstgewerbe, Leipzig 1928.
  • Vgl. Koptische Grammatik mit Chrestomathie, Wörterverzeichnis und Litteratur, Berlin 1894.
Herausgeberschaften (Auswahl):
  • Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde, 1894–1937.
  • Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft, 1922–1933.
  • Urkunden des ägyptischen Altertums, 1903–1937.

[1] Dietrich Raue, Georg Steindorff und seine Ausgrabungen, in: Susanne Bickel u.a. (Hgg.), Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde. Beihefte Bd. 5, Berlin/Boston, Mass. 2016, 401–486, hier 404.

[2] Susanne Voss, Wissenshintergründe … – Die Ägyptologie als ‚völkische‘ Wissenschaft entlang des Nachlasses Georg Steindorffs von der Weimarer Republik über die NS- bis zur Nachkriegszeit, in: Susanne Bickel u.a. (Hgg.), Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde, 179.

[3] Kerstin Seidel/Nicolas Berg, Ein Ägyptologe im Zeitgeschehen. Georg Steindorffs Tagebuch-Kalender, in: Jüdische Geschichte und Kultur. Magazin des Dubnow-Instituts 3 (2019), 66–67.

[4] Art. Georg Steindorff, in: Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte/Historisches Seminar der Universität Leipzig (Hg.), Professorenkatalog der Universität Leipzig, https://research.uni-leipzig.de/catalogus-professorum-lipsiensium/leipzig/Steindorff_155 (letzter Aufruf: 05.03.2022).

[5] Elke Blumenthal/Kerstin Seidel, Art. Steindorff, Georg, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 25, Berlin 2013, 173–175.

[6] Jan Assmann, In wessen Namen wird entschädigt und zurückgegeben? in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Beilage Natur- und Geisteswissenschaften, 08.06.2011, 3.

[7] Elke Blumenthal/Kerstin Seidel, Art. Steindorff, Georg, 174.

[8] Ebd.

[9] Voss, Wissenshintergründe, 116.

[10] Vgl. Raue, Georg Steindorff und seine Ausgrabungen, 401–486.

[11] Vgl. Voss, Wissenshintergründe, 110–111.

[12] Ebd., 131.

[13] Ebd., 147.

[14] Vgl. die Informationstafeln des Ägyptischen Museums Georg Steindorff der Universität Leipzig.

[15] Dietrich Raue, Der ,J’accuse’–Brief an John A. Wilson. Drei Ansichten von Georg Steindorff, in: Susanne Bickel u.a. (Hgg.), Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde. Beihefte Bd. 1, Berlin/Boston, Mass. 2013, 345‒378, hier 350.

[16] Raue, Der ,J’accuse’–Brief an John A. Wilson, 351.

[17] Decherd Turner, Steindorff Collection, Bridwell Library Special Collections, https://sites.smu.edu/bridwell/specialcollections/steindorff/steindorff.htm (letzter Aufruf: 10.03.2022).

[18] Vgl. die Gedenktafel des Ägyptischen Museums Georg Steindorff der Universität Leipzig.

[19] Raue, Der ,J’accuse’–Brief an John A. Wilson, 345.

[20] Ebd., 346–347.

[21] Vgl. Assmann, In wessen Namen wird entschädigt und zurückgegeben?

[22] Vgl. Andreas Zielcke, Streit um ägyptologische Sammlung Steindorff. Unverzeihliche Groteske, in: Süddeutsche Zeitung, (21.06.2011), https://www.sueddeutsche.de/kultur/streit-um-aegyptologische-sammlung-steindorff-unverzeihliche-groteske-1.1110617 (letzter Aufruf: 23.03.2022).

[23] Jürgen Kaube, Steindorffs Wille, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24.06.2011, 33.

[24] Pressemitteilung der Universität Leipzig vom 22.06.2011, https://idw-online.de/de/news429635 (letzter Aufruf: 16.05.2022).

[25] Ebd.

[26] Im Rahmen des Forschungsprojekts Georg Steindorff und die Leipziger Ägyptologie des Ägyptologischen Instituts der Universität Leipzig wurde ein umfangreiches Konvolut seiner Korrespondenzen unter dem Schwerpunkt des Forschungstransfers bearbeitet und aufbereitet; vgl. auch https://www.archaeologie-online.de/nachrichten/briefe-des-aegyptologen-georg-steindorff-online-zugaenglich-3754/ (letzter Aufruf: 16.05.2022).

Jüdische Gelehrte an der Universität Leipzig. Teilhabe, Benachteiligung und Ausschluss. Leipzig 2022. Alle Rechte vorbehalten.