Bernhard Katz (1911–2003)
Am 26. März 1911 wurde Bernhard Katz in Leipzig geboren. Sein aus dem weißrussischen Mogiliev stammender Vater, Morduch (Max) Katz, war kurz nach der Jahrhundertwende als Pelzhändler in die international bedeutende Stadt des Rauchwarenhandels umgesiedelt.[1] 1909 hatte er sich mit der in Warschau geborenen Eugenie Rabinowitz verheiratet. Das Ehepaar wohnte im bürgerlichen Waldstraßenviertel.
Obschon in Leipzig geboren, erhielt Bernhard Katz nicht die deutsche Staatsbürgerschaft. Nach der Oktoberrevolution von 1917 und dem Untergang des russischen Zarenreiches wurde die gesamte Familie staatenlos. (Bild 1) Eine Beantragung der sowjetischen Staatsbürgerschaft lehnte sie ab. Mit Verweis auf seine Staatenlosigkeit wurde Katz die Aufnahme am renommierten Schiller-Realgymnasium der Stadt verwehrt, obwohl er zuvor an der 40. Bürgerschule der Stadt mit ausgezeichneten Leistungen aufgefallen war. Später berichtete ihm ein Bekannter, dass der Direktor den Ruf der Schule in Gefahr sah, wenn ein russischer Jude zu den Besten des Jahrgangs gehört.[2] In das Leipziger König-Albert-Gymnasium, das bei Schülern und Lehrern aufgrund der Schwerpunktfächer Latein und Griechisch als altmodisch galt, konnte Bernhard Katz 1921 ohne Probleme eintreten.
Katz begeisterte sich für Literatur und Philosophie und übersprang aufgrund seiner hervorragenden Leistungen ein Jahr der Schulausbildung. Nach nur acht Jahren legte er 1929 sein Abitur ab. Als junger Mann zeigte sich nicht nur sein Lerntalent, sondern auch sein reges Interesse für die kulturellen Angebote der Stadt. Er besuchte Oper und Theater und traf sich zudem mit Freunden in den Leipziger Kaffeehäusern zum Schachspiel. Doch wurde er bereits während seiner Schulzeit antisemitisch beleidigt. Mit Erschrecken reagierte er auch auf die Ermordung des jüdischen Außenministers Walter Rathenau und verfolgte aufmerksam die Prozesse gegen die Täter der antisemitischen Organisation Consul, die 1922 und 1925 am Reichsgericht in Leipzig stattfanden.
Trotz seiner Vorliebe für Geisteswissenschaften entschied sich Katz für ein Studium der Medizin, das er 1929 an der Universität Leipzig begann. Mit den Einkünften eines Arztes, so die Überlegung, könne er später besser für seine Eltern sorgen. Während seines Grundlagenstudiums wurde Katz sehr schnell von der sich nun öffnenden Welt der Naturwissenschaften in den Bann gezogen. Insbesondere die Lehrveranstaltungen des Experimentalphysikers und späteren Chemie-Nobelpreisträgers Peter Debye und die Vorlesungen des Medizinhistorikers Ernest Siegerist hinterließen bei ihm einen bleibenden Eindruck. Neben seinem Studium begann Katz, wissenschaftsjournalistische Artikel zu verfassen, arbeitete aber ebenso als Assistent in der Praxis eines Hals-Nasen-Ohrenarztes.
Angesichts der sich zuspitzenden politischen Lage schloss sich Katz dem Zionismus an. Er trat 1929 in die Studentenvereinigung haTikwa ein und organisierte in dieser Funktion öffentliche Veranstaltungen. Trotz Überlegungen, Deutschland sofort zu verlassen, entschied er sich, vor seiner geplanten Auswanderung nach Palästina sein Studium in Leipzig zu beenden. Nachdem er 1931 sein Physikum abgelegt hatte, begann er am Physiologischen Institut der Medizinischen Fakultät mit ersten Forschungen zur Erregung von Nervenfasern und publizierte darüber unter anderem im etablierten Fachjournal Pflügers Archiv für die gesamte Physiologie des Menschen und der Tiere.
1934 folgte das Staatsexamen. Zudem stellte er im gleichen Jahr aus bereits veröffentlichten Aufsätzen seine physiologische Doktorarbeit über den Einfluss von Dehnung und Spannung auf die Durchlässigkeit des Muskels zusammen. Mit Unterstützung des Institutsleiters Martin Gildemeister promovierte Katz trotz der bereits begonnenen Repressionen als für lange Zeit letzter jüdischer Student an der Universität Leipzig. (Bild 2)
In Leipzig verschlechterten sich die Arbeits- und Lebensbedingungen für Katz jetzt zusehends. So wurde ihm bereits 1933 ein Preisgeld, das ihm als Gewinner eines wissenschaftlichen Wettbewerbs der Medizinischen Fakultät zustand, aufgrund seiner jüdischen Herkunft offiziell nicht ausgezahlt. Unter der Hand erhielt er das Preisgeld von seinem Untersützer Gildemeister trotzdem. Ebenfalls 1933 wurde die haTikwa-Gruppe an der Leipziger Universität aufgelöst. Katz war zu dieser Zeit ihr Vorsitzender. (Galerie 1)
Katz entschloss sich daraufhin, Deutschland zu verlassen. Allerdings wollte er nun, da sein physiologisches Forschungsinteresse geweckt war, in England seine Ausbildung fortsetzen. Mit Hilfe Chaim Weizmanns, einem führenden Vertreter des Zionistischen Weltkongresses, den Katz im Sommer 1934 in Karlsbad während eines Kuraufenthaltes getroffen hatte, gelangte er ein Jahr später nach England. Weizmann, selbst Naturwissenschaftler und später erster Präsident Israels, hatte ihm eine Assistenzstelle bei dem renommierten Physiologen Archibald Vivian Hill am University College in London vermittelt.
Ein Jahr nach seiner zweiten Promotion 1938 ging Katz als Mitarbeiter einer Forschungsgruppe an das Kanematsu Memorial Institute for Pathology in Sydney. Es gelang ihm kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges seine Eltern aus Leipzig zu sich zu holen. 1941 erhielt der staatenlose Flüchtling aus Deutschland in Australien die britische Staatsbürgerschaft und diente von 1942 bis 1943 als Radaroffizier bei der Royal Australian Airforce. Danach wirkte er an der Weiterentwicklung der Radartechnik mit. Nach Kriegsende gelang ihm die Rückkehr an das University College London, jetzt aber als stellvertretender Direktor der Forschungsabteilung. Hier wurde er 1950 Dozent und 1952 Professor für Biophysik. Im gleichen Jahr übernahm er als Nachfolger seines Förderers Hill die Direktion der biophysikalischen Abteilung, die unter seiner Leitung zu den weltweit führenden Forschungseinrichtungen des Fachs gehörte.
Für seine wissenschaftlichen Leistungen wurde Bernard Katz 1969 zum Ritter geschlagen. Ein Jahr später erhielt er zusammen mit Ulf von Euler und Julius Axelrod für die Erkenntnisse über humorale Transmitter an Nervenenden den Nobelpreis für Medizin und Physiologie. Katz arbeitete bis 1978. Zu den zahlreichen Auszeichnungen, die er erhielt, gehörte die Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die Universität Leipzig im Juli 1990. (Galerie 2) Die Initiative dazu entstand bereits Ende der 1980er Jahren und wurde unter anderen von Bernd Lutz Lange, einem bekannten Kabarettisten, unterstützt, der zu den ersten gehörte, die nach 1945 nach jüdischen Spuren in Leipzig suchten. (Bild 3 und 4)
Sir Bernard Katz starb im Alter von 92 Jahren am 20. April 2003 in London.
Ausgewählte Werke von Bernhard Katz
- Electric Excitation of Nerve. A Review, London 1939.
- Electric potential changes accompanying neuro-muscular transmission (zus. mit: John C. Eccles und Stephen W. Kuffler), in: Wallace O. Fenn (Hg.): Muscle. Lancaster, Pa. 1941.
- The Relaese of Neural Transmitter Substances, Liverpool 1969.
- Nerv, Muskel und Synapse. Einführung in die Elektrophysiologie, Stuttgart 1971.
[1] Hier zit. n. Ortrun Riha, Leipzigs Nobelpreisträger für Medizin Sir Bernard Katz, in: Ärzteblatt Sachsen 11 (2013), 469–472.
[2] Sir Benard Katz, Eine autobiografische Skizze, in: Peter Frieß/Peter M. Steiner (Hgg.), Deutsches Museum Bonn. Forschung und Technik in Deutschland nach 1945, München 1995, 12–35.