Felicia Hart, geb. Schulsinger

Felicia Hart, geb. Schulsinger (1903–1976)

Felicia Hart, geborene Schulsinger (1903–1976) (Bild 1) war die erste und bis 1933 einzige jüdische Anwältin, die an der Universität Leipzig ausgebildet und in Leipzig zugelassen wurde. Sie zählte zu den ersten Frauen, die in Deutschland in die Sphäre der Rechtswissenschaften vordrangen. 1933, bald nach ihrem Berufseinstieg, sah sie sich aufgrund ihrer Entrechtung durch die Nationalsozialisten zur Emigration nach Großbritannien gezwungen. Ab den 1950er Jahren beriet sie Verfolgte des Naziregimes bei ihren Restitutionsansprüchen gegenüber der Bundesrepublik Deutschland.

Felicia Hart wurde am 14. Oktober 1903 als Felicia Schulsinger in eine jüdisch-liberale Familie in Łódź geboren, das im damals vom russischen Zaren regierten Kongresspolen lag. Sie war das zweite von drei Kindern. Die Familie Schulsinger – Moschek Hermann und seine Frau Salomea sowie ihre zwei Kinder Jakob und Felicia – verließ die Stadt während der Revolution von 1905, die im Königreich Polen bis 1907 dauerte.[1] 1906 zog sie nach Leipzig. (Bild 2) Dort stellte die Familie mehrfach erfolglos Anträge auf die deutsche Staatsbürgerschaft. Der zweite Sohn Siegfried wurde 1907 geboren. Der Vater, ein Kaufmann, der in Leipzig Mitinhaber einer Gummifabrik war,[2] verstarb im Juni 1919, als Felicia 15 Jahre alt war.

Im Frühjahr 1923 legte Schulsinger ihr Abitur ab und immatrikulierte sich im selben Sommersemester an der Juristenfakultät der Universität Leipzig. (Bild 3) Nach ihrem Studium, das sie 1926 mit dem ersten Staatsexamen abschloss, konnte sie aufgrund der fehlenden deutschen Staatsbürgerschaft nicht unmittelbar mit dem Referendariat beginnen. (Galerie) Erst im November 1928 erhielt Felicia Schulsinger die deutsche Staatsangehörigkeit. Sie wurde Referendarin am Amtsgericht in Brand-Erbisdorf im Osterzgebirge.[3]

Die akademische Emanzipation von Frauen erreichte die Rechtswissenschaften vergleichsweise spät. In der Medizin und den naturwissenschaftlichen Fächern waren sie früher präsent. Aber auch das war ein langer Weg. 1894 waren in Leipzig Realgymnasialkurse für Mädchen geschaffen worden, die es ihnen erstmals ermöglichten, das Abitur abzulegen.[4] Seit 1905/06 durften sich Frauen offiziell an sächsischen Hochschulen einschreiben.[5] Als sich Schulsinger in der Weimarer Republik immatrikulierte, stellten sie nur einen Bruchteil der Studentenschaft: Im Jahr 1923 gab es deutschlandweit lediglich 801 Frauen, die an einer Hochschule eingeschrieben waren. Das entsprach 3,4 Prozent der Studierendenschaft.[6] Lediglich 6,1 Prozent der Studentinnen hatten sich für das Fach Jura entschieden.[7] Ihr Anteil an den juristischen Fakultäten war marginal, auch wenn er Anfang und Ende der 1920er Jahre leicht stieg. Jüdinnen waren in den Rechtswissenschaften noch seltener vertreten: Gemeinsam mit Felicia Schulsinger waren es nur 40, die zwischen 1903 und 1935 in Sachsen Jura studierten.[8] (Bild 4)

Ihr Studium beendete Felicia Schulsinger 1932 kurz vor der Machtübertragung an Hitler mit dem zweiten Staatsexamen und wurde mit einer cum laude bewerteten Arbeit über Die sogenannte Vorbereitungshandlung des Entwurfes eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches vom Jahre 1927 zur Dr. jur. promoviert. Damit gehörte sie zu den 62 Jüdinnen, die bis 1933 deutschlandweit die zweite Staatsexamensprüfung ablegten. 1919 war Frauen überhaupt erst erlaubt worden, das erste, 1922 das zweite Staatsexamen zu machen.[9]

Nach ihrer Zulassung als Rechtsanwältin am Amtsgericht und Landgericht Leipzig eröffnete sie mit ihrer Kollegin Elisabeth Struckmann [10] – in Sichtweite des damaligen Landgerichts und des Reichsgerichts. (Bild 5) Der Beginn ihrer Berufstätigkeit fiel in die politische Umbruchszeit der Jahre 1932/33. Nur einen Tag nach ihrer Hochzeit mit dem jüdischen Arzt Johannes Hartmann erließen die Nationalsozialisten das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums und das Gesetz über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft, mit dem die Zulassung jüdischer Anwälte zurückgenommen wurde. Drei Wochen später erhielt Felicia, nun verheiratete Hart, eine Mitteilung über ihr Berufsverbot. Sie wurde im Mai 1933 von der Rechtsanwaltsliste entfernt. [11] Einen Monat darauf wurde auch ihrem Mann die Kassenzulassung entzogen, sodass das Paar sich zur Emigration entschied. Im Spätsommer 1933 reiste Johannes Hart nach England. Felicia Hart, bereits schwanger, folgte ihm im November und brachte im Januar 1934 den Sohn Herbert zur Welt. Johannes Hart absolvierte ein erneutes Medizinstudium in Schottland und eröffnete dort 1936 eine Praxis. Felicia Hart verlegte sich zunächst notgedrungen darauf, ihren Mann bei der Patientenbetreuung zu unterstützen, da sie in England nicht als Anwältin zugelassen wurde: „Der Verlust der Anwaltstätigkeit und der beruflichen Selbständigkeit lastete als schwerer Schicksalsschlag auf mir, es bedrückte mich schmerzhaft für den Rest meines Lebens; ich vermisste die Rechtswissenschaft sehr“, schrieb sie später. [12]

Nach Kriegsende nahm das Ehepaar die britische Staatsbürgerschaft an. (Bild 6) Nachdem ihr Mann 1954 verstorben war, fand Felicia Hart eine Anstellung als Rechtberaterin bei der Anwaltskanzlei Bucheridge & Braune in London. Dort unterstützte sie jüdische Verfolgte des Nationalsozialismus in Restitutionsfragen. [13] Auch sie selbst stellte 1956 einen Entschädigungsantrag, der schließlich bewilligt wurde. Ab 1959 erhielt sie eine „Rente für Schaden im beruflichen Fortkommen“.[14] Ihr Verhältnis zu Deutschland blieb nachhaltig zerrüttet. Auf einer Völkerrechtskonferenz in Helsinki begegnete Hart 1966 einigen Juristen aus der DDR, darunter Rudolf Arzinger (1922–1970), der damalige Dekan der Leipziger Juristenfakultät. Er gratulierte ihr kurz darauf im Namen des Fakultätsrats mit einem Brief zum Geburtstag.[15] Im Privaten lehnte Hart, die im Holocaust ihre Mutter und einen Bruder verloren hatte, den Umgang mit Deutschen jedoch ab.[16] Felicia Hart verstarb im Jahr 1976 in London. (Bild 7)


[1] Malte Rolf, Imperiale Herrschaft im Weichselland. Das Königreich Polen im Russischen Imperium (1864–1915), Berlin/München/Boston 2015, 345.

[2] Steffen Held, Hart, Felicia (Dr. jur., geborene Schulsinger), https://www.leipzig.de/jugend-familie-und-soziales/frauen/1000-jahre-leipzig-100-frauenportraets/detailseite-frauenportraets/projekt/hart-felicia-dr-jur-geborene-schulsinger (letzter Aufruf: 16.03.2022).

[3] Vgl. Held, Hart, Felicia (Dr. jur., geborene Schulsinger).

[4] Marion Röwekamp, Die ersten deutschen Juristinnen. Eine Geschichte ihrer Professionalisierung und Emanzipation (1900–1945), Köln/Weimar/Wien 2011, 47.

[5] Simone Ladwig-Winters, Das Ende eines Aufbruchs. Jüdische Juristinnen und Juristinnen jüdischer Herkunft nach 1933, Köln 2016, 58; Röwekamp, Die ersten deutschen Juristinnen, 25.

[6] Röwekamp, Die ersten deutschen Juristinnen, 104.

[7] Ebd., 105.

[8] Ladwig-Winters, Das Ende eines Aufbruchs, 67; Hubert Lang, Zwischen allen Stühlen. Juristen jüdischer Herkunft in Leipzig (1848–1953), Leipzig 2014, 32.

[9] Ladwig-Winters, Das Ende eines Aufbruchs, 67.

[10] Lang, Zwischen allen Stühlen, 586.

[11] Röwekamp, Die ersten deutschen Juristinnen, 649.

[12] Held, Hart, Felicia (Dr. jur., geborene Schulsinger).

[13] Vgl. Lang, Zwischen allen Stühlen, 586.

[14] Ladwig-Winters, Das Ende eines Aufbruchs, 145.

[15] Vgl. Lang, Zwischen allen Stühlen, 586; Held, Hart, Felicia (Dr. jur., geborene Schulsinger).

[16] Vgl. Lang, Zwischen allen Stühlen, 586.

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