Julius Fürst

Julius Fürst

Julius Fürst (1805–1873)

Julius Fürst kam am 12. Mai 1805 in der Kleinstadt Zerków im preußischen Großherzogtum Posen zur Welt. Er wuchs in bescheidenen Lebensverhältnissen in einem religiösem Elternhaus auf.[1] Da von ihm erwartet wurde, dass er später wie sein Vater den Beruf eines Rabbiners ergreifen werde, erhielt er zunächst eine traditionelle jüdische Ausbildung in hebräischer Bibelkunde und den religionsgesetzlichen Überlieferungen. Fürst sprach in seiner Kindheit Polnisch und Hebräisch. Allerdings erhielt er bei einem katholischen Pfarrer kostenfreien Privatunterricht in Latein, für den er stundenlang zu Fuß unterwegs war. Der Sohn von Julius Fürst, Livius, sah darin später einen Hinweis auf den inneren Drang des Vaters, eine höhere Ausbildung zu erreichen.[2]

Ohne finanzielle Mittel und profunde Deutschkenntnisse ging der 15-jährige nach Berlin und fand hier am Gymnasium zum Grauen Kloster Aufnahme. Der Rektor der Schule, der Theologe und Orientalist Johann Joachim Bellermann, erkannte Fürsts Begabung und zeigte sich insbesondere vom Hebräisch des Heranwachsenden beeindruckt. Er vermittelte ihm private Sprachschüler, so dass Fürst seine Existenz in Berlin sichern konnte.[3] 1825 schrieb sich Fürst an der Universität Berlin ein und besuchte hier unter anderem Vorlesungen bei Hegel. Neben Philosophie und Theologie befasste er sich mit orientalischen Sprachen. Allerdings unterbrach er sein wissenschaftliches Studium, um an der Posener Talmudschule von Akiva Eger eine Ausbildung zum Rabbiner zu durchlaufen. Obwohl der Beruf eines Predigers ihm ein sicheres Auskommen gewährleistet hätte, wandte er sich erneut der Universität zu. In Breslau, wo er ab 1829 eingeschrieben war, begann seine eigentliche Auseinandersetzung mit der Orientalistik. Fürst besuchte Veranstaltungen des Syrologen Georg Heinrich Bernstein, des Arabisten Christian Maximilian Habicht und des Orientalisten Heinrich Middeldorpf.[4] Drei Jahre später wechselte er an die Universität Halle, die er als Doktor der Philosophie verließ. Als Privatgelehrter ließ sich Fürst 1833 in Leipzig nieder. Zweimal, 1832/33 und 1838/39, schrieb er sich hier an der sächsischen Landesuniversität in Philologie ein und wurde als Ausländer und preußischer Student in den Akten verzeichnet. (Bild 1 und Bild 2) Zudem reichte er 1836 eine zweite Promotion, diesmal mit einem philologischen Thema, an der Universität in Jena ein.[5] In Leipzig beschäftigte sich der junge Gelehrte mit der Neubearbeitung der Buxtorf’schen Bibelkonkordanz, die von 1837 bis 1840 unter dem Titel Concordantia librorum Veteris Testamenti Hebraicae et Chaldaicae erschien.

Zudem ersuchte er mit einem Schreiben vom Februar 1839 die Universität, Vorlesungen in aramäischen und talmudischen Sprachen und ihrer Literatur abhalten zu dürfen.[6] Im April 1839 erhielt Fürst dafür die Ministerialerlaubnis. Gleichzeitig setzte sich das Kultusministerium beim Innenministerium dafür ein, dass Fürst die Eheschließung gestattet wird und er eine Aufenthaltsgenehmigung für sich und seine zu erwartenden Kinder erhält.[7] Obwohl Fürst damit der erste jüdische Hochschullehrer in Leipzig war, erschien sein Name im gedruckten Personalverzeichnis neben dem des Fechtmeisters und Tanzlehrers in der Rubrik „andere zur Universität gehörende“ Personen.[8] Als Privatdozent blieb er weiter ohne Vergütung und lebte von Einkünften als Schriftsteller und Übersetzer. Um die finanzielle Situation zu verbessern, nahm die Familie auswärtige Schüler Leipziger Lehranstalten auf, die für Kost und Logis bezahlten.[9]

In den persönlichen Schwierigkeiten, eine bezahlte Stelle zu erhalten, erkannte Fürst den Ausdruck der allgemeinen Zurücksetzung jüdischer Wissenschaftler an deutschen Hochschulen. In seinem 1842 veröffentlichtem Artikel Die Juden und die Hochschulen sprach er sich gegen die Benachteiligung jüdischer Wissenschaftler aus und rief zur Gründung einer „jüdisch-theologischen Fakultät“ an der Universität Leipzig auf.[10] Im Gegensatz zu Standorten in Preußen oder Bayern sei die Landesuniversität in Sachsen besonders geeignet, weil das Christentum hier toleranter und die akademische Entscheidungsfreiheit größer sei.

Nicht nur als kritischer Publizist, sondern ebenso als Mitglied des Literarischen Vereins und des Schiller-Vereins, als Petitionär, Versammlungsredner sowie als einer von fünf jüdischen Delegierten des Frankfurter Vorparlaments verknüpfte der Leipziger Gelehrte die Forderung nach jüdischer Emanzipation mit dem allgemeinen Kampf für politische Liberalisierung. Die von ihm zwischen 1840 und 1851 herausgegebenen Zeitschrift Der Orient widmete sich in ihrer Grundausrichtung diesem Anliegen. Zugleich war sie mit ihrer Literaturbeilage, für die jüdische Geistesgrößen wie Abraham Geiger, Heinrich Graetz und Moritz Steinschneider, aber auch christliche Wissenschaftler wie Heinrich Leberecht Fleischer und Franz Delitzsch Beiträge lieferten, ein Meilenstein bei der Etablierung einer Wissenschaft des Judentums.[11]


Nach 20 Jahren Lehrtätigkeit wandte sich Fürst mit der Bitte an das Kultusministerium, ihn zum Professor zu ernennen und finanziell zu unterstützen. Fürst hatte in der Zwischenzeit auch schriftstellerisch unermüdlich gewirkt. Dabei verband er sein reiches Wissen über die alttestamentarischen Sprachen mit den Methoden wissenschaftlicher Systematisierung.[12] Zu seinen Veröffentlichungen gehörte ein zweibändiges hebräisches und chaldäisches Handwörterbuch, das trotz fachlicher Kritik sehr weite Verbreitung fand.[13] Neben semitischer Philologie publizierte er Bibliografien, Übersetzungen und Editionen jüdischer Schriften.[14] In der Antwort des Ministeriums wurden dann auch die wissenschaftlichen Leistungen Fürsts anerkannt. Indes hielten die Regierungsvertreter seine Ernennung zum Professor nach wie vor mit dem evangelischen Charakter der Universität für nicht vereinbar. (Galerie) Stattdessen beförderten Universität und Ministerium den jüdischen Gelehrten zum Lector publicus der aramäischen, insbesondere der talmudischen Sprache und Literatur. (Bild 3 und 4) Erst 1864 wurde Fürst Titularprofessor und bekam jetzt ein jährliches Honorar, jedoch kein Gehalt, zugewiesen. (Bild 5) Das verliehene Prädikat entsprach eher einer persönlich zu tragenden Auszeichnung und war nicht mit den Rechten und Einkünften einer ordentlichen oder außerordentlichen Professur verbunden.[15]

Ungeachtet dieser Einschränkungen wirkte Fürst als erfolgreicher Hochschullehrer. Später namhafte Fachgelehrte wie der Alttestamentler Franz Delitzsch und der Iranist und Turkologe Georg Rosen besuchten seine Seminare. Selbst der sächsische König Johann soll mehrfach die Vorlesungen des jüdischen Orientalisten gehört haben.[16] Fürst selbst bewertete seinen Aufstieg an der Universität als Zeichen der Liberalität des sächsischen Königshauses und des Kultusministeriums.[17]

Als Julius Fürst am 9. Februar 1873 starb, reichte sein Ansehen weit über Sachsen hinaus. (Bild 6) Für seine wissenschaftlichen Leistungen hatte er bereits zu Lebzeiten zahlreiche Ehrungen erhalten, beispielsweise hatte man ihn 1864 zum Ehrenmitglied des Freien Deutschen Hochstifts für Wissenschaften, Künste und allgemeine Bildung in Frankfurt am Main gewählt und ihn in Preußen im gleichen Jahr zum Ritter des Kronenordens ernannt.[18] Aus Österreich hatte der Leipziger Gelehrte die Goldene Medaille für Kunst und Wissenschaft erhalten. Sachsen würdigte ihn 1870 mit dem Albrechtsorden. Weil Fürst aber eine reguläre Professur immer verweigert worden war, konnten die Hinterbliebenen des hochdekorierten Wissenschaftlers keine Ansprüche auf Zuwendungen durch die Witwen- und Waisenkasse der Universität geltend machen. Sie bekamen eine Pension aus einer universitätsnahen Stiftung.[19] Fürsts Beerdigung wurde zu einem Ausdruck der gesellschaftlichen Liberalisierung in Sachsen, deren Einfluss in den folgenden Jahren nicht zuletzt durch die Verbreitung des modernen Antisemitismus zurückgehen sollte. Am Tag der Trauerfeier versammelten sich studentische Verbindungen, christliche Professoren und Würdenträger der Universität, Vertreter der Landesregierung und Repräsentanten der bürgerlichen Stadtgesellschaft vor und in der Synagoge. Der Universitätschor und der Synagogen-Gesangsverein gestalteten das Ereignis, das der Sohn Livius Fürst in seinen Erinnerungen von 1905 als besonders bewegend beschrieb. Es sei in eine Zeit gefallen, „in welcher die künstlich geschürten konfessionellen Gegensätze noch nicht die Herzen vergiftet hatten“.[20]

Ausgewählte Werke von Julius Fürst
  • Die Juden und die Hochschulen, in: Heinrich Wuttke, Jahrbuch der deutschen Universitäten, Leipzig Winterhalbjahr 1842/43, 131–138.
  • Bibliotheca Judaica. Bibliographisches Handbuch umfassend die Druckwerke der jüdischen Literatur, einschließlich der über Juden und Judenthum veröffentlichten Schriften, 3 Bde., Leipzig 1849–1863.
  • Hebräisches und chaldäisches Handwörterbuch über das Alte Testament. Mit einer Einleitung, eine kurze Geschichte der hebräischen Lexikographie enthaltend, einem deutschen Index sowie einem grammatischen und analytischen Anhange, Leipzig 1857–1863.
  • Geschichte des Karäerthums (von 1575 bis 1865 der gewöhnlichen Zeitrechnung). Eine kurze Darstellung seiner Entwicklung, Lehre und Literatur mit den dazu gehörigen Quellennachweisen,  Leipzig 1862–1869.

[1] Livius Fürst, Persönliches über Julius Fürst, in: Ost und West 5 (1905), H. 4, 248–262, hier 256; vgl. https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/periodical/titleinfo/2592051 (letzter Aufruf: 25.01.2022).

[2] Ebd.

[3] Katharina Vogel, Der Orientalist Julius Fürst (1805–1873). Wissenschaftler, Publizist und engagierter Bürger, in: Stephan Wendehorst (Hg.), Bausteine einer jüdischen Geschichte der Universität Leipzig, Leipzig 2006, 41–60, hier 43.

[4] Ebd., 44.

[5] Der Titel lautete: Perlenschnüre aramäischer Gnomen und Lieder. Vgl. ebd.

[6] Ebd.

[7] Sächsisches Staatsarchiv, Ministerium des Kultus und öffentlichen Unterrichts (11125), Nr. 10237, Bl. 8, hier zit. n. Michael Schäbitz, Juden in Sachsen – Jüdische Sachsen? Emanzipation, Akkulturation und Integration 1700–1914, Hannover 2006, 232–233.

[8] Zit. n. Vogel, Der Orientalist Julius Fürst (1805–1873), 45.

[9]  Fürst, Persönliches über Julius Fürst, 256.

[10] Julius Fürst, Die Juden und die Hochschulen, in: Heinrich Wuttke (Hg.), Jahrbuch der deutschen Universitäten, Leipzig 1842/43, 131–138, hier bes. 138

[11] Carsten Schapkow, Art. Der Orient, in: Dan Diner (Hg.), Enzyklopädie jüdischer Geschichte und Kultur, Bd. 4, Stuttgart 2013, 437–441, hier 441.

[12]  Vogel, Der Orientalist Julius Fürst (1805–1873), 49.

[13] Ebd., 50.

[14] Julius Fürst, Bibliotheca Judaica. Bibliographisches Handbuch umfassend die Druckwerke der jüdischen Literatur, einschließlich der über Juden und Judenthum veröffentlichten Schriften, 3 Bde., Leipzig 1849–1863.

[15] Zur Unterscheidung: Eine ordentliche Professur/Ordinariat bedeutete die Leitung eines Lehrstuhls, vollberechtigte Mitgliedschaft in der Fakultät und Verbeamtung; planmäßige außerordentliche Professoren waren ebenfalls besoldet und pensionsberechtigt, bekamen aber ein geringeres Gehalt, vertraten ein kleineres Fachgebiet und hatten keine Stimme in den Fakultäten und im Senat der Universität; nichtplanmäßige außerordentliche Professuren blieben reine Titularprofessuren ohne Gehalts- und Mitgestaltungsansprüche; vgl. Ulrich von Hehl, In den Umbrüchen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Universität Leipzig vom Vorabend des Ersten bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs 1909 bis 1945, in: Franz Häuser (Hg.), Geschichte der Universität Leipzig, 1409–2009, Bd. 3, Leipzig 2010, 17–329, hier 118.

[16] Vogel, Der Orientalist Julius Fürst (1805–1873), 49.

[17] Ebd., 255.

[18] Ebd., 56.

[19] Vgl. Schäbitz, Juden in Sachsen – Jüdische Sachsen?, 233; vgl. Vogel, Der Orientalist Julius Fürst (1805–1873), 44–47.

[20] Fürst, Persönliches über Julius Fürst, 262.

Jüdische Gelehrte an der Universität Leipzig. Teilhabe, Benachteiligung und Ausschluss. Leipzig 2022. Alle Rechte vorbehalten.