Felix Hausdorff

Felix Hausdorff

Felix Hausdorff (1868–1942)

Die Biographie Felix Hausdorffs (1868–1942) ist eine doppelte: einerseits vermochte er durch seine wissenschaftliche Forschung sich als Pionier der mathematischen Mengenlehre zu etablieren, andererseits veröffentlichte er unter dem Pseudonym Paul Mongré Aphorismen und Gedichte, die die Gegenstände seiner mathematischen Forschung aufgreifen. Hausdorff kam am 8. November 1868 in Breslau zur Welt. Im Alter von drei Jahren siedelte er mit seinen Eltern Hedwig und Louis Hausdorff nach Leipzig über. Dort betrieb sein Vater einen gut gehenden Leinen- und Baumwollgroßhandel. Die Hausdorffs gehörten der liberal geprägten jüdischen Gemeinde an, die seit 1858 von Rabbiner Abraham Meyer Goldschmidt geleitet wurde.[1] (Bild 1 und 2)

In der Messestadt besuchte Felix Hausdorff das humanistische Nikolai-Gymnasium (Bild 3). Der Wunsch, Komponist zu werden, wurde ihm vom Vater verwehrt.[2] Stattdessen studierte er Mathematik und Naturwissenschaften an der Leipziger Universität, wobei er zeitgleich Vorlesungen in Geschichte und Philosophie besuchte. (Bild 4 und 5) Mit seiner Studie Zur Theorie der astronomischen Strahlenbrechung wurde er 1891 promoviert. Fünf Jahre später folgte die Habilitation mit einer Arbeit über die Brechung des Lichts in der Atmosphäre. Zwischen 1891 und 1893 leistete Hausdorff im Leipziger Infanterieregiment seinen Freiwilligendienst ab. Nach antisemitischen Diskriminierungen ließ er sich von der Liste der Offiziersaspiranten streichen.[3]

1897, also kurz nach seiner Habilitation und Beginn der Lehrtätigkeit an der Leipziger Universität, veröffentlichte Hausdorff unter dem Pseudonym Paul Mongré sein literarisches Erstlingswerk, den Aphorismenband Santʻ Ilario: Gedanken aus der Landschaft Zarathustras. Ein Jahr später folgte Das Chaos in kosmischer Auslese, eine kritische Betrachtung der Metaphysik. Beide Bücher bauten auf der Rezeption der Philosophie Friedrich Nietzsches auf. Später folgten weitere literarische Veröffentlichungen, darunter ein Theaterstück, ein Gedichtband und mehre Essays. Als Schriftsteller gab Hausdorff einer ästhetizistisch-individualistischen Haltung Ausdruck, die bereits in seinem Künstlernamen – à mon gré, deutsch: wie es mir gefällt – anklang.[4] Dabei ließ er seine Aphorismen und Gedichte um die Gegenstände seiner mathematischen Forschung kreisen. Sie waren damit auch Ausdruck des zeitgenössischen Ringens der Philosophie um ihre Stellung zwischen den exakten Wissenschaften und den Geisteswissenschaften.

1899 heiratete Hausdorff Charlotte Goldschmidt, eine Enkelin des Leipziger Rabbiners Abraham Meyer und der Frauenrechtlerin Henriette Goldschmidt. 1900 wurde ihr einziges Kind, Leonore Nora, geboren. Trotz eines Rufs nach Göttingen blieb Hausdorff zunächst in Leipzig. 1901 nahm er eine ihm von der Universität angebotene Professur für Mathematik an. (Bild 6) Er traf diese Entscheidung, obwohl während des Berufungsverfahrens in der Fakultät antijüdische Vorbehalte gegen ihn geäußert worden waren.[5] Vielleicht ließ er sich davon nicht abschrecken, weil er sich in seinem intellektuellen Umfeld durchaus wohlfühlte. (Bild 7) Er war Mitglied im Akademisch-Philosophischen Verein, in dem moderne Tendenzen in Wissenschaft, Philosophie, Kunst und Literatur diskutiert wurden und dessen Mitglieder für ihre teils unkonventionellen Lebensstile bekannt waren.[6] Der schöngeistigen Seite seines Denkens kamen das rege Leipziger Vereinsleben und seine Kontakte etwa zu dem Maler Max Klinger und dem Nietzsche-Herausgeber Fritz Koegel entgegen.[7]

Hausdorff verließ Leipzig erst 1910, um in Bonn zu lehren und zu forschen. Am Vorabend des Ersten Weltkriegs veröffentlichte er mit den Grundzügen der Mengenlehre sein Opus Magnum. Darin entwickelte er eine in ihrer Geschlossenheit völlig neuartige Theorie der Topologie und metrischer Räume, die über Jahrzehnte hinweg zu den Referenzpunkten des Fachs gehörte. 1913 wurde Hausdorff Ordinarius in Greifswald, kehrte jedoch 1921 nach Bonn zurück. Im Unterschied zu Leipzig, einem Zentrum der antisemitischen Bewegung im Kaiserreich, begründete er diesen Schritt auch mit dem Gefühl der förmlichen Gleichberechtigung, das ihm durch den kollegialen Umgang an der Bonner Universität vermittelt wurde.[8]

Hausdorff konvertierte nicht, verstand sich aber als Agnostiker.[9] Politisch zeitlebens eher zurückhaltend, litt er als Freigeist unter der antirepublikanischen Feindseligkeit des nationalkonservativen Bürgertums der Weimarer Republik. Als Reaktion darauf wurde er Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei, trat aber politisch nicht weiter in Erscheinung.[10]

Nachdem ihm 1935 durch das nationalsozialistische Regime die Professur entzogen wurde, versuchte er 1939 erfolglos, in die USA zu emigrieren. Unter dem Eindruck der Novemberpogrome von 1938 war er bereits aus der deutschen Mathematiker-Vereinigung ausgetreten.[11] Obwohl das Bonner Kollegium 1941 kurzzeitig erwirken konnte, dass den Hausdorffs der Verlust ihrer Wohnung erspart blieb, machten sich der Mathematiker und seine Familie keine Illusionen über den antisemitischen Charakter des Regimes. Zu Beginn des Jahres 1942 erreichte ihn die Anordnung zur Deportation in das Sammellager Endenich. Daraufhin nahm er sich gemeinsam mit seiner Schwägerin Edith am 26. Januar 1942 das Leben. (Bild 8)

Ausgewählte Werke von Felix Hausdorff
  • Zur Theorie der astronomischen Strahlenbrechung, Leipzig 1891.
  • Ueber die Absorption des Lichtes in der Atmosphäre, Leipzig 1895.
  • Grundzüge der Mengenlehre, Leipzig 1914.
  • Dimensionen und äußeres Maß, in: Mathematische Annalen 79 (1919), 157–179.
Unter dem Pseudonym Paul Mongré
  • Santʻ Ilario. Gedanken aus der Landschaft Zarathustras, Leipzig 1897.
  • Das Chaos in kosmischer Auslese, Leipzig 1898.
  • Ekstasen, Leipzig 1900.
  • Der Arzt seiner Ehre, Berlin 1912.

[1] Moritz Epple, Spielräume des Denkens. Felix Hausdorff und Paul Mongré, in: Astrid Schwarz/Alfred Nordmann (Hgg.), Das bunte Gewand der Theorie. Vierzehn Begegnungen mit philosophierenden Forschern, München 2009, 235–262, hier 240.

[2] Heinz Klaus Strick, Felix Hausdorff (1868–1942). Um den Nazis zu entgehen, nahm er sich das Leben, https://www.spektrum.de/wissen/felix-hausdorff-meister-der-masstheorie/1602848 (letzter Aufruf: 03.02.2022).

[3] Art. Hausdorff, Felix, in: Archiv Bibliographia Judaica e. V. (Hg.), Lexikon deutsch-jüdischer Autoren, Bd. 10, München 2002, 262–268, 262.

[4] Epple, Spielräume des Denkens, 243.

[5] Strick, Felix Hausdorff (1868–1942).

[6] Epple, Spielräume des Denkens, 242.

[7] Art. Hausdorff, Felix, 263.

[8] Strick, Felix Hausdorff (1868–1942).

[9] Ebd.

[10] Art. Hausdorff, Felix, 263.

[11] Ebd.

Jüdische Gelehrte an der Universität Leipzig. Teilhabe, Benachteiligung und Ausschluss. Leipzig 2022. Alle Rechte vorbehalten.