Isidor Kaim

Matrikel, Isidor Kaim

Isidor Kaim (1817–1873)

Isidor Kaim wurde am 25. Februar 1817 als 15. Kind von Samuel Kaim und dessen Frau Buna in Dresden geboren. Der Vater gehörte als Juwelier zur kleinen jüdischen Wirtschaftselite der Residenzstadt und war in der Gemeinde hochangesehen. Seit circa 1813 übte er das Ehrenamt des Gemeindeältesten aus.[1] Die Eltern ermöglichten Isidor Kaim eine weltliche Ausbildung. So gehörte er zu seiner Zeit zu den noch wenigen Juden, die an einem Gymnasium ihre Hochschulreife erwarben. 1838 schrieb er sich an der Universität Leipzig zunächst für Medizin ein, wechselte aber bereits ein Jahr später an die Juristenfakultät.[2] (Bild 1) Zur gegenseitigen Unterstützung jüdischer Studenten gründete Kaim gemeinsam mit Kommilitonen, darunter Joseph Bondi aus Dresden, 1840 den Verein Jeschuat-Achim. Vor allem aber stellte Kaim sein juristisches Wissen in den Dienst der Gleichberechtigung. Dabei war ihm der jüdische Jurist und Vorkämpfer der Emanzipation Gabriel Riesser aus Hamburg ein Vorbild, über den er 1840, noch unter dem Pseudonym K. Sidori, einen begeisterten Beitrag in Jeschurun, Taschenbuch für Israeliten verfasste.[3] Unter dem gleichen Autorennamen veröffentlichte Kaim 1840 seine erste rechtsgeschichtliche Schrift über die Geschichte der Juden in Sachsen mit besonderer Rücksicht auf ihre Rechtsverhältnisse. Im Oktober 1841 legte er sein erstens Staatsexamen ab und bemühte sich danach um seine weitere praktische Ausbildung als Rechtsreferendar.

Allerdings wurde sein beruflicher Aufstieg von vielen antijüdischen Beschränkungen erschwert. Nach jeder erfolgreich genommenen Hürde wartete bereits die nächste Schwierigkeit. So wurde ihm zwar nach einigen Anstrengungen das Ablegen des Staatsexamens zugebilligt, zugleich erreichte ihn aber der ministerielle Beschluss, dass er daraus als Jude keinen Anspruch auf die Zulassung als Anwalt ableiten dürfe.[4] Am Stadtgericht Leipzig erstritt er sich 1842 dennoch die Erlaubnis, den Vorbereitungsdienst zu leisten. Für einen nichtkonvertierten Juden war das in Sachsen ein Novum, weshalb sich das Leipziger Gericht vor dem Ministerium in Dresden rechtfertigen musste. Die 1844 und 1845 unternommenen Versuche Kaims, als Notar und Anwalt registriert zu werden, blieben zunächst erfolgslos. Hinsichtlich der Zulassung zum Notariat verwies das Ministerium auf eine Verordnung von 1512, die Juden ausschloss. (Bild 2) Die Berechtigung zum Anwaltsberuf war nach einer gesetzlichen Regelung von 1838 für Juden nicht explizit untersagt, wurde allerdings durch eine nachrangige Verfahrensregelung, die einen christlichen Eid zur Voraussetzung erklärte, restriktiv ausgelegt.[5] Erst nachdem Kaim sein Anliegen bei einer öffentlichen Audienz des sächsischen Königs am 23. Oktober 1845 vorgebracht hatte, erhielt er die Erlaubnis, als Anwalt zu praktizieren und eröffnete im Februar 1848 als erster jüdischer Anwalt Sachsens seine Kanzlei auf dem Leipziger Brühl.[6]

Im Verlauf der Revolution von 1848/49 engagierte sich Kaim zunehmend in der Öffentlichkeit. So publizierte er unter anderem in der von Julius Fürst herausgegebenen Zeitschrift Der Orient wie auch in der Tagespresse, trat aber ebenso als Redner und Mitglied im Vaterlandsverein auf. Sein Name landete sogar auf einer Liste der sächsischen Polizei, die Umstürzler und Regierungsgegner aufführte.[7]

Doch schien sich Kaim auch nach der Niederschlagung der Revolution in Leipzig als Advokat etablieren zu können. Er wirkte vor allem am Handelsgericht und betreute hier auch nicht-jüdische Klienten. Doch bald schon zeigte sich, dass die Widerstände gegen einen jüdischen Juristen keinesfalls verschwunden waren. So erkannte ihm 1851 das Appellationsgericht in einem Ehescheidungsverfahren aufgrund seiner Religionszugehörigkeit die Vertretungsberechtigung für seine christliche Mandantin ab.[8] Nach weiteren beruflichen Auseinandersetzungen, die den Eindruck einer gezielten Kampagne gegen Kaim erlauben, folgte 1854 die Verhaftung aufgrund des Vorwurfs, Wertpapiere eines Mandanten veruntreut zu haben. Schon nach wenigen Tagen verurteilte ihn das Bezirksgericht Leipzig zu sechs Jahren Strafaufenthalt in einem Arbeitshaus und entzog ihm Anwalts- und Notariatserlaubnis. Nach mehreren Revisionen wurde die Strafe um vier Monate reduziert und Kaim musste bis 1859 seine Strafe im Landesarbeitshaus in Zwickau absitzen.[9] (Bild 3 und 4)

Ob die Verurteilung Kaims auf einer antijüdischen Intrige beruhte oder tatsächlich auf dem individuellen Fehlverhalten des Angeklagten, lässt sich heute kaum noch rekonstruieren. Ein Zeitgenosse, der Hebraist Moritz Steinschneider (1816–1907), beschrieb Kaim als „merkwürdigen Charakter: voll Kanten und Ecken, aber kräftig“.[10] Mit vielen seiner Mitstreiter war Kaim in Konflikt geraten. So zerbrach die Freundschaft mit Julius Fürst und auch mit dem Vorstand der jüdischen Gemeinde und den Parteifreunden der Vaterlandspartei hatte er sich überworfen. Andererseits setzte sich mit dem jüdischen Juristen Emil Lehmann (1829–1898) ein Politiker und Mitglied des sächsischen Landtags, für Kaim ein und warb nach dessen Freilassung bei der Deutschen Schiller-Stiftung dafür, diesen finanziell zu unterstützen.[11] Vor dem Hintergrund der ambivalenten Informationen und historischer Lücken bleibt eine Beurteilung der Person Kaims schwierig. Doch ist anzunehmen, dass die exzeptionelle Stellung Kaims unter den sächsischen Juristen zu Reaktionen der Abwehr geführt hat. Schon seine rechtswissenschaftlichen Veröffentlichungen hatten polemische und teilweise unsachliche Reaktionen christlicher Juristen hervorgerufen.[12] Die Abschottung juristischer Berufe beruhte auf dem protestantischen Staatsverständnis Sachsens und so blieb die Zulassung von Juden zum Anwaltsberuf hier lange Zeit die Ausnahme, Widerstände und Intoleranz waren hingegen die Regel.[13]

Nach seiner Haft lebte Kaim nur noch kurz in Leipzig, ging dann nach Dresden und später nach Berlin. Er publizierte auch weiterhin, unter anderem zur Frage der jüdischen Emanzipation. Sein letzter Lebensabschnitt war von den Folgen einer Krankheit und Armut gekennzeichnet. Er starb am 1. September 1873 in Dresden und wurde dort auf dem neuen jüdischen Friedhof bestattet.[14]


Ausgewählte Werke von Isidor Kaim:
  • Gabriel Rießer, in: Jeschurun, Taschenbuch für Israeliten, Leipzig 1840.
  • Geschichte der Juden in Sachsen mit besonderer Rücksicht auf ihre Rechtsverhältnisse, Leipzig 1840.
  • Die Bedeutsamkeit der Juden in Leipzig, Leipzig 1842.
  • Ein Wort über die rechtlichen Zustände der Juden im preußischen Staate, Leipzig 1842.
  • Das Kirchenpatronatsrecht nach seiner Entstehung, Entwickelung und heutigen Stellung im Staate, 2 Bde., Leipzig 1845 und 1866.

[1] Steffen Held, Isidor Kaim, in: Jüdische Gemeinde zu Dresden (Hg.), Einst & Jetzt. Zur Geschichte der Dresdner Synagoge und ihrer Gemeinde, Dresden 2001, 138–139.

[2] Ebd., 407.

[3] K. Sidori, Gabriel Riesser, in: Carl Maien/Siegmund Frankenburg (Hgg.), Jeschurun. Taschenbuch für Schilderungen und Anklänge aus dem Leben der Juden auf das Jahr 5601 israelitischer Zeitrechnung, Leipzig 1841, 1–20.

[4] Hubert Lang, Zwischen allen Stühlen. Juristen jüdischer Herkunft in Leipzig (1848–1953), Kaufering 2014, 408.

[5] Hubert Lang, Denn die große Frage läuft am Ende nur darauf hinaus, zu wissen, ob die Juden Menschen sind. Isidor Kaim. Der erste jüdische Advocat in Sachsen, http://hubertlang.de/anwaltsgeschichte/denn-die-grosse-frage-laeuft-am-ende-nur-darauf-hinaus-zu-wis%C2%ADsen-ob-die-juden-menschen-sind/ (letzter Aufruf: 18.01.2022).

[6] Ebd.

[7] Ebd.

[8] Ebd.

[9] Ebd.

[10] Moritz Steinschneider, Briefwechsel mit seiner Verlobten Auguste Auerbach 1845–1849. Ein Beitrag zu jüdischer Wissenschaft und Emanzipation, Frankfurt am Main/New York 1995, 60, hier zit. n. Lang, Zwischen allen Stühlen, 104.

[11] Lang, Zwischen allen Stühlen, 105.

[12] Held, Isidor Kaim, 138.

[13] Am 3. September 1849 wurde mit Theodor Wolf (1823–?) der erste jüdische Notar in Sachsen ernannt, 1862 wurde Martin Drucker sen. (1834–1913) zweiter jüdischer Anwalt in Sachsen und ein Jahr danach erhielt Emil Lehmann, später Abgeordneter für die Fortschrittspartei in der 2. Kammer des Sächsischen Landtags, seine Zulassung.

[14] Vgl. Lang, Zwischen allen Stühlen, 105; 409.

Jüdische Gelehrte an der Universität Leipzig. Teilhabe, Benachteiligung und Ausschluss. Leipzig 2022. Alle Rechte vorbehalten.