Edward Teller

Edward Teller (1908–2003)

Der Atomphysiker Edward Teller (1908–2003) leistete bedeutende Beiträge in der Kern- und Molekularphysik, der Spektroskopie und der Oberflächenphysik. Aufgrund seiner Mitarbeit am amerikanischen Nuklearwaffenprogramm gehörte er zu den in der Öffentlichkeit besonders kontrovers diskutierten Wissenschaftlern des 20. Jahrhunderts. Den dabei häufig kolportierten Beinamen „Vater der Wasserstoffbombe“ wies er Zeit seines Lebens von sich.[1]

Teller wurde am 5. Januar 1908 in Budapest geboren. Er wuchs als zweites Kind der erfolgreichen Konzertpianistin Ilona Deutsch und des wohlhabenden Anwalts Max Teller auf. Schon als Kind entwickelte er ein Interesse für Mathematik. Er folgte allerdings zunächst dem Wunsch des Vaters und begann 1925 ein Studium der Chemietechnik, das eine klarere Berufsperspektive versprach. Nach einem Semester in Budapest wechselte er 1926 an die Technische Hochschule Karlsruhe, die als eine der führenden Lehranstalten für das Fach Chemie galt. Zusätzlich besuchte er Vorlesungen in Mathematik und Physik. Dabei kam er mit der seinerzeit neuen Quantentheorie in Berührung.

Begeistert von den Forschungsfragen, die mit dem wissenschaftlichen Paradigmenwechsel der modernen Physik einhergingen, erbat er von seinem Vater die Erlaubnis, das Studienfach zu wechseln.[2] Zunächst ging Teller 1928 nach München und studierte bei Arnold Sommerfeld theoretische Physik. Noch im gleichen Jahr wechselte er als Doktorand an das Theoretisch-physikalische Institut der Universität Leipzig.[3] (Bild 1) Angezogen von Werner Heisenberg, dem renommierten Entdecker der Quantenmechanik und späteren Nobelpreisträger, lernte und arbeitete er hier in einer Gruppe junger Wissenschaftler. (Bild 2) Zu diesen gehörten Lev Landau (1908–1968) aus Baku, der später am Bau der sowjetischen Wasserstoffbombe beteiligt und ebenfalls Träger des Physik-Nobelpreises war, und der in Brünn geborene George Placzek (1905–1955), der wie Teller im Exil am amerikanischen Atombombenprojekt mitwirkte.[4]

Entsprechend seiner Vorbildung befasste sich Teller mit einer quantenmechanischen Erklärung des Wasserstoffmolekülions und promovierte damit 1931 bei Werner Heisenberg und Friedrich Hund. (Bild 3)

Nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten verstand Teller nicht zuletzt aufgrund seiner Erfahrungen mit Antisemitismus in Ungarn, dass er als Jude in Deutschland keine berufliche Zukunft haben würde.[5] Über Stationen am University College in London und an der Universität Kopenhagen emigrierte er 1935 in die Vereinigten Staaten. 1941 wurde er amerikanischer Staatsbürger. In der Rückschau beurteilte Teller seine Leipziger Zeit sehr wohlwollend. Hier habe er das geistige Rüstzeug und die fachliche Expertise erworben, auf denen sein weiterer beruflicher Erfolg aufbaute.[6]

1934 heiratete Teller die ungarische Mathematikerin, Soziologin und spätere Programmiererin Augusta Maria „Mici“ Harkányi. Aus der Ehe gingen zwei Kinder hervor. In den USA wurde Teller bereits 1935 ordentlicher Professor für Physik an der George Washington University. 1939 wechselte er an die Columbia University in New York. Er forschte weiterhin hauptsächlich zu Problemen der Kernphysik: Von befreundeten Atomphysikern erfuhr er von der 1938 durch Otto Hahn und Fritz Straßmann in Berlin entdeckten Kernspaltung.

Als Fachexperte erkannte er deren militärisches Potential. Als einer der ersten Wissenschaftler im Westen warnte er vor dem Bau einer Atombombe durch die Nationalsozialisten. Im Sommer 1939 überzeugte er gemeinsam mit Leó Szilárd, einem ebenfalls in Ungarn geborenen Kernphysiker, Albert Einstein davon, den amerikanischen Präsidenten Theodor Roosevelt auf die Gefahr einer deutschen Nuklearwaffe hinzuweisen.[7] Der entsprechende Brief Einsteins gelangte kurz nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs an Roosevelt und führte tatsächlich zum Beschluss der Regierung, ein amerikanisches Atomwaffenprogramm aufzubauen.[8]

Ab 1942 war Teller in das „Manhattan Project“ in Los Alamos eingebunden, dessen Ziel die Entwicklung einer amerikanischen Atombombe war. Bereits zu dieser Zeit stellte er erste Überlegungen zur militärischen Nutzung der Kernfusion an, über die noch mehr Energie freigesetzt werden konnte, als durch die der Atombombe zugrundeliegende Kernspaltung. Während sich viele Atomwissenschaftler angesichts der Folgen der beiden ersten Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki im August 1945 gegen nukleare Waffen aussprachen, verteidigte Teller die Notwendigkeit der atomaren Bewaffnung. Er befürwortete die Idee eines „Friedens durch Stärke“. Dabei sei atomare Rüstung nie zum Zweck der Massenvernichtung angestrebt worden, argumentierte er. Vielmehr hätte die Entwicklung von Nuklearwaffen es dem Westen erst ermöglicht, letztere zu verhindern.[9] Die Vereinigten Staaten müssten deshalb eine totalitären Bedrohungen gegenüber überlegene Rüstungstechnik besitzen, um die freie Welt verteidigen zu können.[10] Als 1949 bekannt wurde, dass die Sowjetunion in den Besitz atomarer Waffen gelangt war, wurde Teller zu einem der führenden Projektentwickler der amerikanischen Wasserstoffbombe, die erstmals 1952 getestet wurde. (Bild 4)

1952 gehörte Teller zu den Gründern des California Radiation Laboratory in Livermore, des späteren Lawrence Livermore National Laboratory. Hier wirkte er bis 1975 in verschiedenen leitenden Positionen, zuletzt als stellvertretender Direktor. Daneben lehrte er als Professor an der University of California in Berkeley.[11] Auch nach seiner Emeritierung engagierte sich Teller in der Entwicklung der amerikanischen Militärtechnologie. So arbeitete er in den 1980er Jahren mit der Unterstützung Ronald Reagans am Projekt Strategic Defense Initiative (SDI), bei dem Laser- und Satellitentechnik zur Abwehr sowjetischer Interkontinentalraketen nutzbar gemacht werden sollten. Allerdings wurde das Projekt nach zehn Jahren eingestellt. Erfolgreicher war Teller in seiner Beratertätigkeit für Israel, das er sowohl hinsichtlich der friedlichen Energienutzung als auch der Entwicklung von Atomwaffen mit seiner Expertise unterstützte.[12]

Obwohl Teller mit zahlreichen Preisen bedacht wurde, darunter 2003 der Presidential Medal of Freedom, der höchsten staatlichen Auszeichnung der Vereinigten Staaten, war er unter Kollegen und in der Öffentlichkeit nicht unumstritten. Mehr noch als persönliche Manien[13] war dafür seine befürwortende Haltung zur Nutzung technischer Fähigkeiten und moderner Wissenschaft für militärische Zwecke ausschlaggebend. So musste Teller auf dem Höhepunkt seiner Karriere unter anderem als eine der Inspirationen für die Figur des Dr. Seltsam in Stanley Kubricks Klassiker Dr. Seltsam, oder: wie ich lernte, die Bombe zu lieben (1964) herhalten.[14]

Ausgewählte Werke von Edward Teller

  • Über das Wasserstoffmolekülion, Berlin 1930.
  • Der Diamagnetismus von freien Elektronen, in: Zeitschrift für Physik 67, H. 5‒6 (1931), 311–319.
  • mit Gerhard Herzberg, Schwingungsstruktur der Elektronenübergänge bei mehratomigen Molekülen, Zeitschrift für Physikalische Chemie 21, H.1 (1959), 410–446.
  • mit Enrico Fermi, The Capture of Negative Mesotrons in Matter, Physical Review 72, H. 5 (1947), 399‒408.
  • mit Albert Latter, Ausblick in das Kernzeitalter, Frankfurt am Main 1959.
  • mit Allen Brown, Das Vermächtnis von Hiroshima, Düsseldorf/Wien 1963.
  • Better a Shield than a Sword. Perspectives on Defense and Technology, New York 1990.
  • mit Judith Schoolery, Memoirs. A Twentieth‒Century Journey in Science and Politics, Cambridge 2001.


[1] Edward Teller, Memoirs. A 20th Century Journey in Science and Politics, Oxford 2002, 546. Zur Verwendung des Beinamens vgl.: N.A., Gestorben. Edward Teller, in: Der Spiegel (15.09.2003), https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/zum-tode-edward-tellers-der-mann-der-die-bombe-liebte-a-265019.html (letzter Aufruf: 05.06.2022).

[2] Edward Teller, Permission to become a Physicist, in: Web of Stories, https://www.webofstories.com/play/edward.teller/17 (letzter Aufruf: 05.01.2022).

[3] Konrad Lindner, Gehen Sie zu Heisenberg! Edward Teller als Doktorand in Leipzig, in: Leipzig Lese, https://www.leipzig-lese.de/index.php?article_id=657 (letzter Aufruf: 05.1.2022).

[4] Freeman J. Dyson, Edward Teller, 1908–2003, in: http://www.nasonline.org/publications/biographical-memoirs/memoir-pdfs/teller-edward.pdf (letzter Aufruf: 06.01.2022).

[5] Academy of Achievement: Interview mit Edward Teller, https://web.archive.org/web/20130517030625/http://www.achievement.org/autodoc/page/tel0int-3 (letzter Aufruf 07.01.2022).

[6] Ebd.

[7] Kati Marton, Die Flucht der Genies. Neun ungarische Juden verändern die Welt, Frankfurt am Main 2010, 9.

[8] Academy of Achievement: Interview mit Edward Teller, 30. September 1990, https://web.archive.org/web/20130517025004/http://www.achievement.org/autodoc/page/tel0int-4 (letzter Aufruf: 07.01.2022).

[9] Peter Goodchild, Meet the Real Dr. Strangelove, in: The Guardian (01.04.2004), https://www.theguardian.com/science/2004/apr/01/science.research1 (letzter Aufruf: 06.01.2022).

[10] Lindner, Gehen Sie zu Heisenberg!

[11] Horst Kant, Art. Teller, Edward, in: Neue Deutsche Biographie 26 (2017), https://www.deutsche-biographie.de/sfz131112.html (letzter Aufruf: 07.01.2022).

[12] N.A., Edward Teller in Israel To Advise on a Reactor, in: New York Times (06.12.1982), https://www.nytimes.com/1982/12/06/world/edward-teller-in-israel-to-advise-on-a-reactor.html (letzter Aufruf: 08.01.2022); vgl. außerdem Michael Karpin, The Bomb in the Basement, New York 2005, 287–293.

[13] Gregg Herken, Brotherhood of the Bomb. The Tangled Lives and Loyalties of Robert Oppenheimer, New York 2002, 25.

[14] Peter Goodchild, Meet the real Dr Strangelove, in: The Guardian (01.04.2004), https://www.theguardian.com/science/2004/apr/01/science.research1 (letzter Aufruf: 04.03.2022).

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