Bernhard Hirschel

Bernhard Hirschel
Bernhard Hirschel

Bernhard Hirschel (1815–1874)

Bernhard Hirschel kam am 15. Januar 1815 als Sohn des Kleiderhändlers Abraham Hirschel und seiner Frau Bella in Dresden zur Welt. Bernhard war das älteste von sieben Kindern der Familie, in der auch die Mutter mit einem kleinen Gebrauchtwarenhandel zum Familieneinkommen beitrug.[1] Die Lebensverhältnisse der Familie waren nicht von Wohlstand geprägt, doch beschreibt Bernhard Hirschel später eine glückliche Kindheit und das Bestreben der Eltern, ihm und seinen Geschwistern die bestmögliche Bildung zukommen zu lassen.[2] Im Alter von vier Jahren besuchte er den Cheder, eine jüdische Lehrstube, in der vornehmlich die hebräische Sprache und religiöse Inhalte gelehrt wurden. Im Unterschied zu vielen anderen vergleichbaren Einrichtungen bekam er neben dem Tora-Studium aber bereits Unterricht in deutscher Sprache, Grammatik sowie Rechnen. Ab 1823 nahm er Privatstunden, unter anderem in Geografie und Geschichte, bei Marcus David Landau, der zugleich als Vorbeter in der Dresdner Synagoge tätig war. Unterstützt wurde die frühe Hinwendung zu weltlicher Bildung von Hirschels Eltern, obwohl diese nach den traditionellen religiösen Gesetzesvorschriften lebten. Der Vater hielt seinen Sohn dazu an, Französisch zu lernen. Die Mutter wiederum wird in Bernhard Hirschels Lebenserinnerungen als die treibende Kraft des Unterfangens beschrieben, den Sohn am renommierten christliche Kreuzgymnasium unterzubringen. Während der Vater zu schüchtern aufgetreten sei, habe Bella Hirschel das Heft des Handelns in die Hand genommen und engagiert beim Rektor der Schule vorgesprochen. Später berichtete Bernhard Hirschel darüber, dass die jüdische Gemeinde diesen Bildungsambitionen durchaus kritisch gegenüberstand.[3]

Trotzdem trat er 1825 als einer der ersten Juden in das Kreuzgymnasium ein. Dabei gestand ihm der Rektor zu, samstags – also am Sabbat – nicht in der Schule erscheinen zu müssen und erließ ihm nach dem Tod des Vaters 1830 sogar das Schulgeld. Damit wurde die liberale Haltung des Schulleiters deutlich, der die gesellschaftliche Integration von Juden über Bildung beförderte, ohne dabei religiösen Konformitätsdruck auszuüben. Zwei Jahre später absolvierte der Halbwaise sein Abitur, konnte aufgrund der beschränkten finanziellen Verhältnisse jedoch nicht wie gewünscht ein Medizinstudium aufnehmen. Erst nachdem er von 1832 bis 1834 die Chirgurgisch-medicinische Akademie seiner Heimatstadt besucht hatte, ermöglichten ihm Spenden des Dresdner Mendelssohnvereins, ein Medizinstudium an der Universität Leipzig aufzunehmen.[4] (Bild 1) Als Jude war es ihm an der protestantischen Hochschule nicht möglich, ein staatliches Stipendium zu erhalten; so berichtete er am Anfang seiner Studienzeit in Leipzig von Geldnöten.[5]

Als Doktor der Medizin kehrte Hirschel 1838 nach Dresden zurück, praktizierte als Arzt und begann erste medizinhistorische Arbeiten zu veröffentlichen.[6] Wie sehr sich Bildungsstreben und beginnende Berufslaufbahn auf Hirschels sozialen Status ausgeweitet hatten, lässt der Umstand erahnen, dass er 1844 mit Cäcilie Levi die Tochter einer der wohlhabendsten Familien der Stadt heiraten konnte.

Bereits während des Studiums beteiligte sich Hirschel in seinem Lebensumfeld an Diskussionen über die Emanzipation. Im Vormärz begann er sich einer breiteren Öffentlichkeit gegenüber politisch zu äußern. Zunächst verfasste er 1846 unter dem Titel Sachsens Regierung, Stände und Volk eine kritische Bestandaufnahme der politischen Verhältnisse in Sachsen, in der er auch die bestehenden Einschränkungen der Presse kritisierte. (Bild 2)

Seit 1848 gehörte er zu den Ausschussmitgliedern des Dresdner Vaterlandsvereins und äußerte sich als einer von fünf gewählten Vorstehern der Israelitischen Religionsgemeinschaft in Dresden zu politischen Fragen in der Öffentlichkeit. 1849 zog er als erster Jude in die Stadtverordnetenversammlung in Dresden ein. In seiner im April 1849 veröffentlichten Schrift Sachsens jüngste Vergangenheit. Ein Beitrag zur Beurteilung der Gegenwart rekapitulierte Hirschel die politischen Veränderungen und gab sich als liberaler Demokrat zu erkennen.[7] Zur gleichen Zeit legte er einen eigenen Verfassungsentwurf vor, der unter anderem mehr Mitsprache des Volkes gewährleisten sollte.[8] An den bewaffneten Kämpfen des Dresdner Maiaufstands beteiligte sich Bernhard Hirschel wahrscheinlich nicht direkt, sondern kümmerte sich als Arzt um Verwundete. Trotzdem wurde er nach der Niederschlagung der Erhebung am 9. Mai 1849 verhaftet und blieb für über zweieinhalb Monate in Untersuchungshaft. In seinem erhalten gebliebenen Tagebuch eines Gefangenen schildert er sowohl die Angst, Opfer repressiver Vergeltung zu werden, berichtet aber auch davon, dass unter den ihn bewachenden Gardisten demokratisch gesinnte Sympathisanten waren.[9] Am 25. Juli wurde Hirschel nach Zahlung einer Kaution aus der Haft entlassen.[10]

In den folgenden Jahren wandte er sich von der Politik ab und konzentrierte sich auf seinen medizinischen Beruf. Publizistisch trat er jetzt als Unterstützer der Homöopathie in Erscheinung. Die von ihm 1851 gegründete Zeitschrift für homöopathische Klinik soll 1858 in einer Auflage von 7.000 Exemplaren erschienen sein und wurde nach Angaben Hirschels von der spanischen Königin und vom Hannoveraner Herrscherpaar gelesen. Sein erfolgreichstes Werk wurde Der homöopathische Arzneischatz in seiner Anwendung am Krankenbette, das 17 Auflagen erlebte und in mehrere Sprachen, darunter ins Spanische und Französische, übersetzt wurde. Die steigende Anerkennung Hirschels ließ sich nicht zuletzt daran erkennen, dass er 1867 zum Vizevorsitzenden des Internationalen homöopathischen Congresses gewählt wurde.[11]

Hirschel war Mitglied in mehreren Dresdner Vereinen. Dazu gehörten die Naturwissenschaftliche Gesellschaft Isis und der Dresdner Gymnasialverein. Hirschel unterstützte aber ebenso die jüdische Gemeinde, so wirkte er einige Jahre als Gemeindedeputierter und war Vorsteher des Israelitischen Kranken-Unterstützungsinstituts. Zum Sanitätsrat ernannt und auch über die Grenzen seiner Heimatsstadt hinaus hoch angesehen, starb Bernhard Hirschel an seinem Geburtstag 1874 an den Folgen einer Bauchfellentzündung.


Ausgewählte Werke von Bernhard Hirschel
  • Geschichte der Medicin in den Grundzügen ihrer Entwickelung, Dresden/Leipzig 1843.
  • Sachsens Regierung, Stände und Volk, Mannheim 1846.
  • Entwurf einer neuen Verfassungsurkunde für das Königreich Sachsen, Dresden 1848.
  • Tagebuch eines Gefangenen, Dresden 1849.
  • Sachsens jüngste Vergangenheit. Ein Beitrag zur Beurteilung der Gegenwart, Freiberg 1849.
  • Meine Lebensgeschichte, Dresden 1860.
  • Der homöopathische Arzneischatz in seiner Anwendung am Krankenbette. Für Familie und Haus, Dresden 1861.

[1] Simone Lässig, Jüdische Wege ins Bürgertum. Kulturelles Kapital und sozialer Aufstieg im 19. Jahrhundert, Göttingen 2004, 194–198.

[2] Christian Schmidt, Art. Hirschel, Bernhard, in: Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde e.V. (Hg.), Sächsische Biografie; vgl. https://saebi.isgv.de/biografie/Bernhard_Hirschel_(1815-1874) (letzter Aufruf: 03.03.2022).

[3] Simone Lässig, Jüdische Wege ins Bürgertum, 196.

[4] Ebd., 197.

[5] Bernhard Hirschel, Meine Lebensgeschichte, Dresden 1860, hier bes. 18.

[6] Bernhard Hirschel, Geschichte der Medicin in den Grundzügen ihrer Entwickelung, Dresden/Leipzig 1843.

[7] Schmidt, Art. Hirschel, Bernhard.

[8] Entwurf einer neuen Verfassungs-Urkunde für das Königreich Sachsen, Dresden 1848.

[9] Harmut Zwahr, Biographische Zugänge zur zeitgenössischen Wahrnehmung des Dresdner Maiaufstandes, in: Martina Schattkowsky (Hg.), Dresdner Maiaufstand und Reichsverfassung 1849, 68–80, hier bes. 75.

[10] Bernhard Hirschel, Tagebuch eines Gefangenen, Dresden 1849; ders., Sachsens jüngste Vergangenheit. Ein Beitrag zur Beurteilung der Gegenwart, Freiberg 1849.

[11] Schmidt, Art. Hirschel, Bernhard.

Jüdische Gelehrte an der Universität Leipzig. Teilhabe, Benachteiligung und Ausschluss. Leipzig 2022. Alle Rechte vorbehalten.